Mehr proaktive Förderung von und Investitionen in Open Source Software (OSS) auf Ebene der Europäischen Union und der nationalen Regierungen würde nicht nur das Wirtschaftswachstum in Europa ankurbeln. Sie würde auch Innovationen anregen und das Entstehen einer erfolgreichen europäischen Informationstechnologie-Industrie erleichtern, die in einem breiten Ökosystem von Open-Source-Unternehmen und -Erzeugern aller Größenordnungen verwurzelt ist. Sie würde Arbeitsplätze im Softwaresektor schaffen sowie die Fähigkeit Europas stärken, seine eigene digitale Zukunft zu bestimmen und zu gestalten. Dies waren die eindeutigen Schlussfolgerungen einer kürzlich von der Europäischen Kommission veröffentlichten Studie.

Konkret geht aus der Studie hervor, dass die rund 1 Mrd. EUR, die Unternehmen in der EU 2018 in OSS investierten, bereits zwischen 65 und 95 Mrd. EUR an Wirtschaftswachstum erzeugt haben. Eine weitere Steigerung der Beiträge zu OSS-Code um 10 % würde jährlich zusätzliche 0,4 % bis 0,6 % des BIP sowie mehr als 600 zusätzliche Start-ups im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor der EU hervorbringen. Diese Zahlen bestätigen, dass die sehr hohe potenzielle Rendite von Investitionen in OSS und der Bedarf an digitaler Autonomie zusammen mit den weitreichenden positiven Effekten von Open-Source-Beiträgen zur Wirtschaft ein neues politisches Engagement rechtfertigen.

Open Source Software gibt es, seitdem die Nutzung von Computern in den 1960er Jahren zu wachsen begann. Sie basiert auf offener, gemeinschaftlicher Innovation zwischen Softwareentwicklern und -nutzern, die die Software frei verwenden, untersuchen, verbessern und weitergeben können. Seit den 1970er Jahren hat sich die Softwareindustrie jedoch hauptsächlich auf proprietäre Software, geschlossene Formate und Netzwerkeffekte verlassen, um die Position der etablierten Unternehmen gegenüber Einzelpersonen, Unternehmen oder sogar Regierungen auf der Seite der Nutzer zu stärken.

Bei proprietärer Software ist der Benutzer vom Anbieter abhängig, wenn es um die Kompatibilität mit anderer Software geht. Die Nutzer sind an einen bestimmten Anbieter gebunden und können sich nicht nach günstigerer Software oder nach Produkten umsehen, die besser auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. In der Praxis wird der Softwaremarkt derzeit von einigen sehr großen, außereuropäischen Unternehmen beherrscht. Und diese Abhängigkeit von Regierungen von den Strategien dieser Firmen wird nun noch gefährlicher, da die Anbieter proprietärer Software ihre Angebote in die Cloud verlagern, wo sie noch mehr Kontrolle haben und Funktionen jederzeit ändern können. Aus gesellschaftlicher Sicht ist dieser strategische Lock-in ganzer Branchen und Regierungen der Kern dessen, was die digitale Souveränität Europas untergräbt.

Im Gegensatz dazu schaffen Open-Source-Lizenzen den Rahmen dafür, dass Software frei weiterentwickelt werden kann, etwa um neue Herausforderungen anzugehen, sich an neue Umstände anzupassen und effizientere Anwendungen zu entwickeln. Die Nutzer erhalten eine echte Wahlmöglichkeit. Jeder Einzelne oder jedes Unternehmen kann innovative Lösungen entwickeln, die allen interessierten Entwicklern und Nutzern zur Verfügung stehen, da Open Source keine rechtlichen oder vertraglichen Hindernisse für die Zusammenarbeit aufstellt. Mit anderen Worten: OSS lässt Wettbewerb und Innovation gedeihen, so dass Software-Nutzer im öffentlichen und privaten Sektor leichter Zugang zu Software-Produkten haben, die ihren Bedürfnissen am besten entsprechen, und zwar zu angemessenen Kosten und ohne strategischen Lock-in.

Die Studie der Kommission bestätigt, dass es in Europa bereits einen dynamischen OSS-Sektor gibt, in dem die KMU an der Wachstumsspitze stehen. Es gibt eine gute Grundlage, auf der man aufbauen kann. Das Hauptproblem besteht daher darin, öffentliche Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene zu identifizieren, die es dem europäischen OSS-Sektor ermöglichen, sich weiterzuentwickeln, um sein volles Potenzial auszuschöpfen, damit die europäische Wirtschaft als Ganzes die Vorteile größerer Investitionen in OSS nutzen kann.

Wir von APELL, dem Europäischen Verband der Open-Source-Unternehmen, sind der Meinung, dass die diesbezüglichen Prioritäten von Staat und Politik die Folgenden sein sollten:

  1. Festlegung zielgerichteter Open-Source-Strategien auf EU-Ebene und in jedem EU-Land, die sich darauf konzentrieren, Wirtschaftswachstum, Innovation und digitale Souveränität voranzubringen
  2. Vorrang für Open Source bei der Beschaffung von Software durch den öffentlichen und den privaten Sektor, so dass es unmöglich wird, unüberwindbare Abhängigkeiten von Anbietern zu erzeugen
  3. Förderung von Investitionen in OSS, z.B. durch Unterstützung während des risikoreichen und F&E-intensiven Prozesses vom ursprünglichem Code hin zu kommerziellen Produkten insbesondere für KMU und durch allgemeinere Steueranreize für Open-Source-Beiträge
  4. Aufstockung der öffentlichen Finanzierung zielgerichteter und strategischer Open-Source-Projekte, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, durch bestehende Programme und neue Initiativen
  5. Positionierung von Open Source im Mittelpunkt der Strategien zur Vermittlung digitaler Kompetenzen und der Informatikausbildung in ganz Europa, mit dem Ziel, Innovation langfristig voranzubringen

Die oben genannten Maßnahmen bilden den Ausgangspunkt, um die Grundlage für eine neue europäische Digitalindustrie zu schaffen, die Open Source für das nutzt, was so lizensierte Software am besten kann: innovativ und disruptiv sein und digitale Souveränität liefern. Unabhängig vom Bereich, sei es Cloud, KI, Cybersicherheit oder IoT, steht Open-Source-Software im Zentrum der Innovation, und Europa hat die Chance, hier die Führung zu übernehmen.

Für APELL (Association Professionnelle Européenne du Logiciel Libre), der Europäische Verband der Open-Source-Unternehmen:

  • Peter Ganten, OSBA, Germany
  • Stéfane Fermigier, CNLL, France
  • Timo Väliharju, COSS, Finland
  • Jonas Feist, Open Source Sweden, Sweden
  • Gerardo Lisboa, ESOP, Portugal
  • Ronny Lam, NLUUG, The Netherlands