Die Tagespresse hat es kaum bemerkt. Für Open-Source-Freunde ist es sicher eine Sensation, zumal in den letzten Jahren der Trend der öffentlichen Verwaltungen klar Richtung proprietärer Software ging: Der Thüringische Landtag hat am 28. April ein E-Government-Gesetz beschlossen, dass in seiner letzten Beratung im Haushalts- und Finanzausschuss einen neuen Paragraphen 4 bekommen hatte. Der lautet folgendermaßen:

㤠4 Offene Standards und Freie Software

(1) Zur Gewährleistung einer weitreichenden Interoperabilität sind neue Anwendungen und Technologien mit offenen Schnittstellen sowie Standards auszustatten und hierüber nutzbar zu machen.  Neue Anwendungen und Technologien sollen möglichst abwärts-kompatibel sein.

(2) Dort wo es technisch möglich und wirtschaftlich ist, soll der Einsatz von Open-Source-Software vorrangig vor solcher Software erfolgen, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist und deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung einschränkt.

(3) Bei neuer Software, die von der öffentlichen Verwaltung oder speziell für diese entwickelt wird, ist der Quellcode unter eine geeignete Freie-Software- und Open-Source-Lizenz zu stellen und zu veröffentlichen, soweit keine sicherheitsrelevanten Aufgaben damit erfüllt werden.“

Noch mal das Wichtigste:
– Das Gesetzt verlangt offene Schnittstellen und Standards.
– Open-Source-Software ist vorrangig.
– Eigenentwicklungen der ÖV sollen unter einer Open-Source-Lizenz stehen.

Das war nun gar nicht zu erwarten. Es geht hier nicht um ein neues der einst hoch gelobten „Leuchtturmprojekte“, die inzwischen alle beerdigt sind. Was Thüringen startet, ist nicht weniger als die komplette Neuorientierung in der IT-Politik einer Landesregierung. Und das zu einer Zeit, wo IT-Politik auf Bundes- und Landesebene zumindest nach außen hin auf die Debatte beschränkt ist, wie viele Millionen Euro die Glasfaserverkabelung zwecks Breitbandversorgung kosten dürfte.

Und genau deswegen sollte sich die Open-Source-Community keine Illusionen über das Thüringer Beispiel machen. Es gibt zwar aus Parlamentsdebatten erste Zitate, dass Themen wie offen Schnittstellen, offene Standards und offener Quellcode Eingang in die Diskussion finden. Aber nicht mehr. Bei allen Parteien, außer vielleicht den Grünen ist das noch nicht richtig angekommen. Es scheint tatsächlich noch so zu sein, dass die Mehrheit der Politiker Open Source für irgendeine linke Spinnerei hält.

Unglücklicherweise könnte gerade der Beschluss der Thüringer Landtags diese falsche Meinung noch verstärken. Denn dort hat Rot-Rot-Grün die Mehrheit und stellt die Regierung. Wo allerdings die Linke dabei ist, gilt jeder Beschluss für die CDU nur als ideologischer Unsinn. Auch in der SPD ist mehrheitlich suspekt, was von der Linken kommt. Der FDP ohnehin, obwohl es in der Parteispitze Open-Source-Befürworter gibt.

Der Thüringer Beschluss ist gleichwohl ein Meilenstein. Vor allem bietet er Open-Source-geneigten Initiativen einen Ansatz in der öffentlichen Diskussion. Es gilt zu zeigen, dass es eben nicht ein ideologisch getriebenes Projekt ist, sondern dass es dafür gute Gründe gibt. Die Gründe stehen übrigens genau im § 4 des Thüringer E-Government-Gesetzes: Interoperabilität, Kompatibilität, Wirtschaftlichkeit, Veränderung und Weitergabe von Code. Sogar der merkwürdige Schluss von Absatz 3 („soweit keine sicherheitsrelevanten Aufgaben damit erfüllt werden“) enthält einen überaus wichtigen Grund für Open Source: Quelloffene Software macht IT-Sicherheit erst möglich.

* Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.