Eine Bemerkung gleich vorneweg: Es gehört zu den Prinzipien dieses Blogs, keine einzelnen Mitgliedsorganisation und Personen der Open Source Business Alliance durch ihre Nennung oder die Themenauswahl zu bevorteilen. Eine Ausnahme behält sich der Autor allerdings vor, nämlich für den Fall, dass es um Ereignisse oder Entwicklungen geht, die vermutlich von größerer Bedeutung für die Geschichte von Open Source sein könnten. Beim folgenden Thema fällt die Entscheidung dadurch leichter, dass nicht nur mehrere Mitglieder der OSB Alliance aktuell im Zentrum des Geschehens stehen, sondern gleich etliche mehr sehr bald an der Sache beteiligt sein dürften.

In der letzten Woche hat sich die „Open Cloud Alliance“ (OCA) vorgestellt, die im ersten Quartal 2015 auf dem Markt antreten will. Es ist eine Initiative von Univention, dessen Univention Corporate Server (UCS) Grundlage der Plattform ist, und von IBM, die eine Open-Stack-Implementierung zum Management der Cloud beisteuert sowie mit Lenovo als künftiger Server-Lieferant für die Referenzarchitektur sorgt. Als Applikationsanbieter sind von Beginn an dabei: die Dropbox-Alternative ownCloud, die Collaboration-Plattform Open-Xchange und die Groupware Zarafa. Als Cloud-Service-Provider sind bereits MDlink, Netzlink, Plutex und Teuto.net beteiligt.

(Quelle: Open Cloud Alliance; URL: open-cloud-alliance.de)

Auf die Details des künftigen Angebots soll hier nicht weiter eingegangen werden, dazu gab es Berichte in der Open-Source-nahen IT-Presse und darüber hinaus (zum Beispiel hier und hier), ferner gibt es eine ausführliche Präsentation auf der Website der Alliance (PDF-Download). Wichtig ist das zentrale Anliegen, nämlich den Anwendern, im Gegensatz zu bestehenden anbietereigenen Clouds, Wahlfreiheit und Selbstbestimmung in der Cloud zu ermöglichen.

 

Eine Charta setzt den Rahmen

Dafür hat sich die OCA eine Charta gegeben (im Folgenden zitiert):

  • Integrationsplattform ist Univention Corporate Server.
  • UCS wird als Open-Source-Projekt von Univention entwickelt und verwaltet.
  • Softwareanbieter sind in der Wahl der Lizenz frei und unterstützen Cloud- und On-Premise-Szenarien.
  • OCA-Partner werden Migrationen nicht behindern.
  • OCA-Partner werden Cross-Cloud-Integrationen unterstützen.
  • OCA-Partner werden auch die Integration von nicht zur OCA gehörenden Cloud-Angeboten unterstützen (z.B. Microsoft oder Google).
  • Cloud-Service-Provider nutzen Univention App Center als zentrale Quelle für Applikationen und stellen die überwiegende Zahl der verfügbaren Applikationen auch tatsächlich bereit.
  • Softwarehersteller nutzen Univention App Center als primären Weg, um ihre Software und dazugehörige Updates den Kunden und CSPs zur Verfügung zu stellen.
  • OCA ist nicht exklusiv.

 

Die Charta hat also drei Seiten:

  • Anwender erhalten ein Cloud-Angebot, das explizit jede Behinderung der Migration ihrer Daten in ein anderes Cloud-Angebot oder zurück unter das eigene Dach verbietet. Die OCA nennt nicht in der Charta, aber in der Präsentation auch unverhältnismäßig hohe Kosten für die Datenmigration eine Behinderung der Anwender. Alle in der OCA-Cloud nutzbaren Anwendungen gibt es auch für UCS. Das hat zur Folge, dass sie eine Applikations-Umgebung wie in der Cloud unter eigener Regie, on premise aufbauen können (und umgekehrt). Sie bräuchten für eine Re-Migration aus der Cloud UCS (Version 4.x, die in diesen Tagen erscheint) auf eigenen Servern.
  • Softwareanbieter müssen ihre OCA-Cloud-Applikationen auf Basis von UCS bringen. Diese müssen aber nicht unbedingt im Univention App Center verfügbar sein; das ist nur der „primäre Weg“. Die Anwendungen müssen auch nicht als Open Source verfügbar sein; es muss sie nur für den Eigenbetrieb geben. Es gibt nicht nur eine Lösung pro Applikationskategorie, sondern mehrere, also Konkurrenz. Man kann davon ausgehen, dass ein großer Teil der mehr als 40 momentan im App Center verfügbaren Anwendungen auch in dieser Cloud angeboten wird, sobald sie mehrmandantenfähig (multi-tenant) sind – etliche sind es bereits.
  • Cloud-Service-Provider müssen nicht alle für die OCA-Cloud bestehenden Applikationen anbieten; vielmehr können sie über diese hinaus Anwendungen anbieten. Sie haben keine geschützten Tätigkeitsfelder (Gebietsschutz o.ä.); auch schreibt die Charta keine Verarbeitung und Speicherung von Daten in Deutschland vor. Allerdings führen die Präsentation und eine von der OCA beauftragte Marktstudie mehrfach an, dass Anwender auf das ihnen vertrautere Rechtssystem und die Gerichtsbarkeit in ihren Heimatländern Wert legen. Weil insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen auch in der Cloud eine regionale Nähe ihrer Daten bevorzugen, spricht die OCA insbesondere regional tätige CSPs an.

 

OCA ist nicht die „Deutsche Wolke“

In diesen Details stecken feine Unterschiede zu einem anderen und bisher einzigen Ansatz, Open-Source-Prinzipien auf Cloud Computing zu übertragen. Angesprochen ist damit die „Deutsche Wolke“, die inzwischen unter dem Titel „Cloud Computing“ eine Working Group der Open Source Business Alliance ist. Sie legt zum Beispiel (und daher der alte Titel) Wert darauf, dass die Daten im Gültigkeitsbereich deutschen Rechts verarbeitet und gespeichert werden. Ferner geht es bei den Applikationen um Open-Source-Software.

Um es aus Sicht des Autors festzuhalten: Die Open Cloud Alliance ist – auch wenn einzelne ihrer Mitglieder in der Working Group Cloud Computing dabei sind – keine Initiative, Projekt oder so der OSB Alliance, sondern völlig unabhängig von ihr. Sie ersetzt (oder gar: übernimmt) auch nicht die Aktivitäten der Working Group. Die Deutsche Wolke hat dafür gesorgt, zentrale Prinzipien für Open Cloud Computing aufzustellen. Sie überprüft deren Anwendbarkeit auf die Cloud in technischen Diskussionen und Entwicklungen. Eine unmittelbare, gar gemeinsame Vermarktung der Ergebnisse findet nur am Rande statt, von offensivem Marketing ist keine Spur.

Cloud Computing von unten

Ganz anders dürfte das ab Anfang nächsten Jahres bei der Open Cloud Alliance aussehen. IBM, Lenovo und auch Univention machen nicht aus Experimentierfreude bei der OCA mit. Den Softwareanbietern eröffnet sich ein andersartiger Kanal für das immer schwierigere Neukundengeschäft. Kleineren und daher regional aufgestellten Service Providern (ASP, Managed Hosting etc.) eröffnen sich eine neue Geschäftsmöglichkeit, ohne die Bestandskunden zu verlieren.

Open Cloud Alliance ist nicht das Angebot eines großen Anbieters von oben herab und nach seinen Vorgaben. Die Initiative setzt da an, was kleine und mittelgroße Unternehmen sowie öffentliche Verwaltungen möchten: Cloud, aber in (auch rechtlich) greifbarer Nähe, Möglichkeiten für hybride DV in Public und Private Clouds sowie unter eigener Regie vor Ort, freier Wechsel zwischen diesen Szenarien und anderen Clouds, Interoperabilität, Wettbewerb und Flexibilität in der Cloud. Die Open Cloud Alliance betreibt Cloud Computing von unten. Der Ansatz verspricht viel und hat die Chance, Open Source auf Seiten der Anwender wie der Anbieter neue Möglichkeiten zu eröffnen.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.