Quelle: Freepik

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Frank Karlitschek, der Initiator von Autor, und ein großer Teil der wichtigsten Entwickler verabschiedeten sich im April und Mai 2016 von Owncloud. Sie gründeten Anfang Juni einen Fork namens Nextcloud samt einer GmbH, deren Geschäftsführer Niels Mache, Chef der Struktur AG und Förderer von „Spreed“ ist. Als Gründe wurden Unzufriedenheit über bestimmte technische Ausrichtungen und nicht stattgefundene Entwicklungsarbeiten genannt. Das dürfte nicht alles gewesen sein.

Karlitschek hat ohne präzisere Ausführungen die Frage aufgeworfen, wem Owncloud gehöre. Das soll wohl heißen: Wer bestimmt Entwicklungslinien? Owncloud hatte sich kurz vor der Abspaltung eine Foundation gegeben, in deren Leistungsgremium die Entwickler keine dominante Rolle mehr spielen. Dazu gibt es einen kritischen, detaillierten Artikel des Linux-Magazins.

Nextcloud zeigte sich in der Folge sehr aktiv. Schon Mitte Juni gab es ein erstes Produkt, Nextcloud 9, mit kleineren Verbesserungen am Owncloud-Stamm und ersten wirklichen Neuerungen. Außerdem gründete der Fork ein „Bug Bounty Program“, welches das Aufspüren von Fehlern recht großzügig honoriert. Anfang Juli gab Nextcloud die Modalitäten für Enterprise Support bekannt, der preislich günstiger ist als bei Owncloud.

Gleichzeitig brachte Nextcloud den neuen Android-Client 1.1.0 heraus. Mitte Juli folgte die Mitteilung, dass man LibreOffice Online von Collabora mit Nextcloud im Selbst-Hosting betreiben kann. Am 21.7 gab das Projekt die Beta-Version von Nextcloud 10 frei. Diese Version bringt unter anderem eine bessere Federation-Technik und 2-Faktor-Authentisierung.

Mit nicht weniger vorzeigbaren Fakten widersprach Owncloud sofort aufgetauchten Spekulationen über das bevorstehende Ende. So hatte das Nürnberger Unternehmen in Sachen Android-App und Collabora LibreOffice Online gegenüber Nextcloud zeitlich die Nase vorn. Die kamen nämlich schon am 22. beziehungsweise 23. Juni. Owncloud legte Anfang Juli noch eine Zwischenversion (9.0.3) mit kleineren Verbesserungen vor. Parallel zur Nextcloud 10 Beta erschien Owncloud 9.1, das ebenfalls 2-Faktor-Authentisierung mitbringt.

Auch in den Geschäftsbeziehungen konnte Owncloud Rückendeckung vermelden. Noch im Juni schloss Fujitsu einen Vertrag, wonach das Unternehmen Owncloud Enterprise und Services dafür anbietet. Die finanzielle Sicherung schuf Mitte Juli eine Investition in unbekannter Millionenhöhe des Frankfurter Immobilien-Unternehmers Tobias Gerlinger, der zugleich Owncloud-Geschäftsführer wurde. Die GmbH übernahm daraufhin die amerikanische Owncloud Inc. Gegen Ende Juli ergab eine Kooperation mit Red Hat und Computacenter, das Owncloud neben Ceph Storage und der OpenShift-Container-Plattform zum „Infinite File Service“ gehört.

Damit haben beide Seiten eine erst einmal hinreichende wirtschaftliche Grundlage geschaffen und zugleich dargestellt, dass sie technische Neuerungen auf den Weg bringen können. Die außerordentlich hohe Zahl von Pressemitteilungen und Blogbeiträgen der Kontrahenten hat ihre Ursache natürlich darin, dass sie nach außen ihre Vitalität vorführen müssen. Das ist beiden gelungen.

Das heißt: Forking muss nicht auf Verdrängung der Stammsoftware durch das Neue hinauslaufen; es kann für beide Seiten auch beflügelnd wirken. Hier geht es um eine andere Situation als im Fall Oracle, der OpenOffice nicht zum Geschäft passte und die MySQL nur als Einstiegsdroge für das proprietäre Datenbankgeschäft benutzt. In diesen Fällen sind LibreOffice und MariaDB rettende Fortsetzungen der Open-Source-Tradition, und beide haben ihre Stammsoftware längst technisch überflügelt.

Im Falle Owncloud-Nextcloud gibt es keine aus geschäftlichen Gründen bremsende Seite wie Oracle. Sie können und werden jeweils den offenen Sourcecode der anderen Seite anschauen und für die das eigene Produkt verbessern. Es wird einige Zeit vergehen, bis sich die Softwarestämme so weit auseinander entwickelt haben, dass sie einzigartig und damit vielleicht inkompatibel werden. Anwender brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Vielmehr können sie abwarten, wie sich die Produkte, die Firmen und ihre Supportleistungen entwickeln.

Vielleicht wirkt der Antagonismus ja sogar förderlich auf die Open Source Business Alliance. Owncloud und Nextcloud sind beide in ihr Mitglieder. Man darf gespannt sein.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.