Handelsdefizit

HandelsdefizitStrafzölle und „Handelskrieg“ (geht es nicht weniger martialisch?) nerven nicht nur wegen offenkundiger wirtschaftspolitischer Dummheit. Vor allem wird dabei laufend mit Zahlen hantiert, die ganz unterschiedliche Erhebungsgrundlagen haben und entsprechend so unterschiedlich ausfallen, dass man die Realität nicht mehr erkennt.

Fast immer ist nämlich von Warenhandel die Rede, also grenzüberschreitendem Verkehr von Dingen, die man anfassen kann. Bei Donald Trumps Twitterei geht es ausschließlich um Waren, sein besonderes bemühtes Feindbild sind Autos. Im Warenhandel hat die Bundesrepublik laut Statistischem Bundesamt  im letzten Jahr rund 50 Milliarden Euro mehr in die USA exportiert als von dort bezogen. Die EU insgesamt ist auf 151 Milliarden Dollar Überschuss gekommen.

Nun sind greifbare Güter nicht alles, was den Handel ausmacht. Zu einer Handelsbilanz gehören außerdem Dienstleistungen und Kapitaltransfers. Schon wird es kompliziert, weil die verschiedenen Statistikbehörden mit den beiden letztgenannten höchst unterschiedlich umgehen. Beispielsweise tauchen die Gewinne aus Softwarelizenzen nicht unbedingt in der Handelsbilanz auf, wenn die deutsche Tochter eines US-amerikanischen IT-Anbieters sie gemacht hat. Erst bei einer Überweisung an die Muttergesellschaft werden sie Teil des Kapitaltransfers. Es gibt also eine Grauzone. Wer sich ansatzweise damit beschäftigen möchte, lese diesen Aufsatz von Markos Jung, dessen Angaben im Folgenden die Grundlage sind.

Nach Zahlen der OECD haben die USA bei der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gegenüber der EU 2014 sogar ein Defizit (!) von rund 14 Milliarden verzeichnet. Staunend fällt jedem, der sich von Mobiltelefonen bis Servern, Speichern und Software umschaut, das Kinn auf den Schreibtisch. Die US-Statistikbehörde BEA rechnet schon anders: Sie kommt bei IKT-Dienstleistungen für 2014 auf einen US-Überschuss von 56,5 Milliarden Dollar.

In diesen Zahlen sind die IT-Dienstleistungen der US-amerikanischen Niederlassungen in Europa noch gar nicht erfasst. Die machten laut BEA 2014 in Europa 157,7 Milliarden Dollar Umsätze, europäische Niederlassungen in den USA andererseits 55,3 Milliarden Dollar. Das gäbe ein EU-Defizit von rund 102 Milliarden Dollar – bei den Umsätzen, wohlgemerkt. Eurostat kommt noch auf viel mehr, nämlich auf ein EU-Defizit von 153 Milliarden Dollar bei den IT-Dienstleistungen. Allerdings wären nun noch die Gewinne auszurechnen, und der Ort der Wertschöpfung spielt auch noch eine Rolle.

Hält man die Zahlen gegenüber, ist ersichtlich, dass dem US-Defizit im Warenhandel ein noch größeres EU-Defizit bei ITK-Dienstleistungen gegenüber steht. De EU hätte also noch allerhand Möglichkeiten, Trump empfindlich Kante zu zeigen. Immerhin machen ITK-Dienstleistungen rund die Hälfte der gesamten US-Dienstleistungsexporte aus. Das ist aber politisch nicht gewollt, denn die US-amerikanische IT-Branche ist ohnehin nicht Trump-freundlich.

Unbeabsichtigt hat Trump darauf aufmerksam gemacht, wie stark Europa in Sachen IT von den USA abhängig ist. Diesem Ungleichgewicht protektionistisch zu begegnen wäre nicht wegweisend. Es gibt – mit Ausnahme von SAP – keine europäischen Softwarehäuser oder Cloud-Anbieter, welche US-amerikanische Firmen ersetzen könnten. Europa kann sich aber aus der Abhängigkeit etwas mehr lösen, indem die Anwender in Staat und Unternehmen nicht mehr gedankenlos so genannte Industriestandards a la MS Office einsetzen.

Alternativen „Made in EU“ gibt es genug. Auf vielen davon klebt außerdem das Label „Open Source“. Eine Bevorzugung von Open Source durch die Öffentliche Verwaltung wäre angesichts der bestehenden US-Übermacht in der IT kein großartiges Zeichen an die Trump-Regierung. Aber es wäre eine Willenserklärung, sich nicht einfach mit dem bestehenden Ungleichgewicht abfinden zu wollen. Es wäre ein klares Signal an die Unternehmen.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.