Foto: Ludger Schmitz, CC-BY 3.0

Dass die IT der Politik ein Mysterium sei, muss sie sich nicht sagen lassen. Es gibt doch den Ausschuss Digitale Agenda, die Enquete-Kommission Internet, den Digital-Gipfel (früher: Nationaler IT-Gipfel) und – noch recht neu – einen Digitalrat der Bundesregierung. Die Politik will sich von Fachleuten beraten lassen, und das ist gut so. Denn es ist von Politikern schon so viel Unsinn in Sachen IT geäußert worden, dass es zum Fremdschämen ist. Bevor darauf noch mehr Unsinn in der Praxis folgt – davon haben wir auch mehr als genug erlebt – kann Beratung ja nicht schaden.

Die Frage ist allerdings, von wem man sich beraten lässt. Wer Marktführer fragt, wird bestimmt nichts hören, was Marktverhältnisse stören könnte. Wer Cloud-Anbieter fragt, wird nie etwas Cloud-kritisches hören. Wer Bauern nach dem Wetter fragt, wird niemals zur Antwort bekommen, dass es toll sei. Andere Meinungen gibt es eben nur, wenn man andere fragt.

Wer nun – wie die Politik – einen Branchenverband der I&K-Industrie fragt, was für eine zukunftsfähige IT-Politik Eckpunkte sein sollten, wird bestimmt nicht hören, was die gepflegte Geschäftspraxis dieser Branche auch nur in Frage stellen könnte. Vielmehr kommt alles zur Sprache, was die Geschäfte beflügeln könnte. Genau das ist im Vorfeld des nächsten Digital-Gipfels geschehen, der im Dezember 2018 in Nürnberg stattfinden soll.

Da hat sich nämlich eine Fokusgruppe „Digitale Souveränität“ die Aufgabe gestellt, „Leitplanken“ zum Thema zu entwickeln. Sie hat den Branchenverband Bitkom beauftragt, ein Grundlagenpapier über notwendige Maßnahmen auszuarbeiten. Dessen Forderungen haben dann die Erwartungen von kritischen Zeitzeugen noch untertroffen (hier gleich kommentiert):
* Bessere Netzinfrastruktur: Nun ja, ohne geht halt nichts. Aber wer kontrolliert dort das Geschehen?
* Förderung des Baus von Rechenzentren: Was hat das denn mit digitaler Souveränität zu tun? Oder soll der Staat die hohen Grundstückpreise nahe am Internetknoten Frankfurt subventionieren?
* Mehr Geld für KI-Forschung: Angst, an Macrons französische KI-Initiative irgendeine Führung zu verlieren? Wer kontrolliert, was mit KI gemacht wird, wem sie nützt?
* Abbau der DSGVO und des Copyrights: Daten sollen wohl noch besser gesammelt werden können. Aus Bürgersicht ist Souveränität das genaue Gegenteil.
* Förderung von Blockchain: Sicher, das ist ein Aspekt von Datensicherheit, aber eben nur einer. Und Blockchain ist eben nur eine Technik, die sich von alleine durchsetzt oder eben nicht.
* Aufbau von IT-Plattformen in Deutschland: Welche, wozu? Und wie? Zentral oder dezentral?
* Abbau von Einschränkungen, Cloud-Leistungen zu beziehen: Ach so, souverän ist, wer einkaufen kann, was er will. Oder ins Internet stellen. Siehe Datenschutz-Abbau.

Dieser Forderungskatalog war so daneben, dass er bei einer Vorbesprechung sogar von den Vertretern verschiedener Bundesministerien abgelehnt wurde. Wie frustriert die Arbeitsgruppe war, lässt sich daran ablesen, dass sie beschloss, erst mal drei Jahre zurückzurudern und ein Papier „Leitplanken Digitaler Souveränität“ aus dem Jahr 2015 zu überarbeiten.

Das ist ein einseitiges Dokument mit fünf Absätzen. Es beginnt reichlich schwurbelig („Daten sind Ware und Währung zugleich…“) und schwafelig (…und bilden den Kern einer entstehenden globalen Datenökonomie“). Aber schließlich gibt es zwei Absätze, die sich lohnen:

„Unter dem Begriff Souveränität versteht man zunächst allgemein die Fähigkeit zu Selbstbestimmung, die sich durch Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ausdrückt. Souveränität grenzt sich einerseits von Autarkie und andererseits von Fremdbestimmung ab. Digitale Souveränität bezeichnet in diesem Sinne die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln und Entscheiden im digitalen Raum. Gerade in einer digital vernetzten Welt gibt es keine Autarkie. Gleich­zeitig werden die neuen digitalen Möglichkeiten die Freiheit des Einzelnen und von Gesellschaften dauerhaft nur dann erweitern, wenn Schlüsselkompetenzen vorhanden sind, IT-Sicherheit und Datenschutz auf angemessenem Level gewährleistet werden können und innovationsoffener Wettbewerb herrscht.“

„Souverän zu sein bedeutet daher, zu selbstbestimmtem Handeln und Entscheiden fähig zu sein, ohne dabei ausschließ­lich auf eigene Ressourcen zurückzugreifen. Dazu gehört, dass Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft (digitale) Produkte, Dienstleistungen, Plattformen und Technologien so nutzen können, dass beispielsweise eigene Sicherheits­- oder Datenschutzinteressen nicht beeinträchtigt sind, dass keine unausweichlichen Abhängigkeiten entstehen und dass eigene Geschäftsideen und -modelle verwirklicht werden können. Digitale Souveränität bedeutet darüber hinaus, dass Wirtschaft, Wissenschaft (und in einigen Fällen die öffentliche Verwaltung) in der Lage sind, digitale Technologien zu entwickeln, zur Marktreife auf internationalem Spitzenniveau zu bringen und national wie international zu vertreiben.“

Und immer wieder denke ich: Open Source braucht es dafür! Das wird zwar auch nicht jedes Problem lösen, aber ohne kommt ihr in keinem Punkt einen Schritt weiter. So nebenbei: Open Source  wird nicht ewig lang beredet, bis die beste Lösung aller Zeiten gefunden ist. Open Source wird gemacht, bis einer mit noch besserem Code daherkommt. Eine Scheibe davon würde auch IT-Politik zukunftsfähiger machen.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.