Im Aufsatz „The Cathedral and the Bazaar“ (deutsche Übersetzung als PDF hier zum Download) hat Eric Raymond beschrieben, wie Open Source anfing. Es war Selbsthilfe, genauer gesagt gegenseitige Selbsthilfe. Mit Funktionen und Eigenarten einer Lösung unzufriedene IT-Spezialisten programmierten sich eine Alternative und verbesserten sie immer weiter. Was natürlich nur ging, wenn der Sourcecode allen verfügbar war.

Das ist das Prinzip, nach dem ein gehöriger Teil von Open-Source-Software beginnt und weiter entwickelt wird. Wenn ein Anwender Interesse an einer speziellen Weiterentwicklung hat, kann er sich an den Maintainer des Projekts wenden. Die Antwort wird mit großer Wahrscheinlichkeit lauten: „Wie wäre es, wenn du das selbst programmierst?“ Und genau darauf läuft es dann hinaus; auf Bayrisch: „Wer ko, der ko.“ Hochdeutsch: Wer’s kann, darf.

Programmieren muss man also können (und zwar sauber), um mitzubestimmen, in welche Richtung sich ein Projekt weiterentwickelt. Open-Source-Projekte sind ganz unterschiedlicher Art, mal mit wenigen, mal mit vielen hunderten Entwicklern. Mal Alltagshilfen, mal hochsensible Sicherheitsprodukte. Mal unabhängig, mal von Firmen angestoßen, gefördert und faktisch gelenkt. Manche sind Teil eines größeren Unterfangens, haben weit voraus gesetzte Entwicklungsziele und stehen quasi unter einem „Aufsichtsrat“.

Im Prinzip aber ist etwas in allen diesen Projekttypen gleich: Es reicht nicht, mit einer Idee daher zu kommen. Es hilft auch nicht er ein paar tausend Codezeilen in den Raum zu werfen. Aber wer gut ist und (!) sich engagiert, Verantwortung übernimmt, dessen Stimme erhält Gewicht. Meritokratie heißt dieses alte Prinzip der Open-Source-Entwicklung.

Was aber ist mit den Anwendern, die sich über irgendetwas ärgern, etwas vermissen oder eine gute Idee haben, sie aber nicht umsetzen können, weil sie eben nicht Programmierer sind? Sind sie einfach nur die „User“? Das gemeine Volk, das von der Technik keine Ahnung hat, aber alles will, und zwar sofort? So wie die Massen, die im Mittelalter den Heeren der Kreuzritter folgten und beim Anblick jeder größeren Stadt fragten: „Ist das jetzt Jerusalem?“

Ziemlich einfach ist die Lage noch bei kommerziellen Open-Source-Produkten. Deren Anbieter veranstalten in der Regel jährliche Anwender-Meetings, bei denen jeder seine Wünsche vortragen kann. In diesem Segment sind auch Modelle verbreitet, nach denen Anwenderunternehmen bestimmte Entwicklungen teilweise finanzieren und sich dafür zum Beispiel (aber nicht immer) exklusive Anwendungsrechte sichern.

Ferner haben kommerzielle Open-Source-Anbieter in vielen Fällen einen fest umrissenen Kreis von Anwendern, mit denen sie neue Versionen in der Praxis testen. Aus dieser Gruppe dürften ohnehin schon Verbesserungsvorschläge sowie hier und da weitergehende Ideen kommen. Es wäre eine Überlegung wert, den Kreis der Testanwender auch ganz offiziell zu einem Anwenderbeirat oder ähnlichem zu erheben.

Ein anderer Fall sind Open-Source-Programme, die weit verbreitet sind, hinter denen aber kein Firmenapparat steht. Zum Beispiel LibreOffice. Die Zahl der Entwickler ist überschaubar, die Zahl der Anwender nicht mehr. In solchen Fällen ist es mit Einflussmöglichkeiten der Anwender flauer. Jedenfalls was die individuellen Anwender angeht. Institutionelle haben die wohl wirksamste Möglichkeit darin, sich direkt an Unternehmen zu wenden, die solche Projekte unterstützen, deren Geschäft solche Anpassungs- und Entwicklungsarbeiten sind.

Die Open-Source-Bewegung hat keine allgemein anerkannte Methode entwickelt, sich ein Meinungsbild über die Wünsche jener Anwender zu verschaffen. Anwenderbefragungen gibt es, sind aber eher selten. Und ihr Ergebnis ist nicht bindend. Das mag man als Manko empfinden. Man bedenke aber, dass es Open Source nur gibt, weil sich Leute engagieren. Es ist völlig okay, wenn sie nur das machen, was ihnen einleuchtet. Alles andere wäre Ausbeutung. Open Source ist kein Wunschkonzert. Wer etwas will, muss sich auch engagieren.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.