Bild-Quelle: Linux-Magazin

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Bisher galt München als internationales Vorbild für die Nutzung von Open Source in der Öffentlichen Verwaltung. Ein von der Stadtspitze beauftragtes Gutachten empfiehlt nun die schrittweise Rückkehr zu Microsoft-Produkten auf den Desktops. Einige Hintergründe. Von Ludger Schmitz*

München hatte die IT-Beratungsgesellschaft Accenture mit einem Gutachten zur IT der Stadtverwaltung beauftragt. Der 450 Seiten umfassende Bericht liegt vor – etwas übersichtlicher ist eine auch noch 129 Seiten starke Ergebnisübersicht von der Abteilung IT-Strategie, -Steuerung und -Controlling (Strac). Das Gutachten legt nahe, schrittweise und unter Eigenregie der Fachabteilungen und städtischen Betriebe wieder zu Windows und Microsoft-Office-Produkten zurückzukehren. Dabei blieb meistens wenig beachtet, dass das Gutachten darüber hinaus empfiehlt die IT-Organisation der Bayrischen Landeshauptstadt neu zu organisieren. Beides hat miteinander zu tun.

In diesem Blog-Beitrag soll es nun nicht darum gehen, das Gutachten im Detail darzustellen oder gar zu zerpflücken. Der Autor merkt aus jahrzehntelanger Erfahrung als Journalist nur an, dass Marktanalysen und Beratungsgutachten immer die Erwartungshaltung des Auftraggebers widerspiegeln, sonst scheint das Geschäft der Analysten nicht zu funktionieren. Zur Erinnerung: Auftraggeber war hier eine von der SPD in Koalition mit der immer schon LiMux-kritischen CSU regierte Stadtverwaltung, wobei der Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) aus seiner Vorliebe für Microsoft-Produkte keinen Hehl gemacht hat.

Interessant sind schon die Reaktionen auf das Gutachten.

Dass die Grünen (sie starteten einst in der Koalition mit der SPD das LiMux-Projekt) und die Piraten, Vorschläge zur Re-Migration zurückwiesen, wundert nicht. Die SPD rieb sich ein wenig an den von Accenture mit 19 Millionen Euro bezifferten Kosten der Wiederherstellung alter Verhältnisse und beantragte eine Neuberechnung der Lizenzkosten. Dabei ist ja wohl einiges mehr zu erwarten: neue Hardware, Schnittstellen-Entwicklung, Personalschulungen, Berater etc.

Otto Seidl, er gilt in der Münchner CSU als IT-Experte, versuchte zu beruhigen, man werde „LiMux wahrscheinlich nicht aufgeben“. Politiker-Sprache, die das Gegenteil meint. Denn Seidl redete davon „auf den Arbeitsstationen zu Microsoft“ zu wechseln und es bei Linux auf Servern zu belassen. Genau das ist IT-Alltag. Bei LiMux geht es eben um Linux und Open-Source-Anwendungen auf Arbeitsplatzrechner. Ohne das gibt es kein LiMux mehr.

Energisch hatte sich schon vor dem Gutachten das Personal- und Organisationsreferat (POR) gegen LiMux ausgesprochen. LibreOffice bleibe „weit hinter den aktuellen technischen Möglichkeiten etablierter Standard-Lösungen“ Microsofts zurück, sei auch nicht sicherer, verkompliziere den Datenaustausch und vor allem Grund für „Frustration und auch Resignation“ der Mitarbeiter. Nur komisch, dass ein Vorbericht von Accenture noch im März befand, zwar seien nur 55 Prozent der städtischen Angestellten mit ihrer IT unzufrieden, aber das liege nicht an LiMux.

limux2Die IT-Leitung der Landeshauptstadt und die dort für den LiMux-Betrieb Verantwortlichen haben bisher nicht öffentlich auf das Gutachten und die Vorstöße von Parteien und Ämtern reagiert. Wenn man lange genug im Internet recherchiert, finden sich immer wieder Hinweise, was sich in München hinter den Kulissen abgespielt hat.
Darauf basiert das Folgende:

Eine zentrale Grundlage ist, dass die Stadt München keine zentrale IT hat, sondern das „Drei-Häuser-Prinzip“ gilt. Erstens gibt es, nur scheinbar übergeordnet, das STRAC, dessen Abkürzung für IT-Strategie, -Steuerung und -Controlling steht, was die Aufgaben umreißt. Zweitens fungiert IT@M als städtischer IT-Dienstleister, der übergreifende Lösungen für den städtischen IT-Betrieb anbietet, ein Rechenzentrum betreibt sowie unter anderem LiMux eingeführt hat und betreut. Drittens existieren in den zehn Referaten der Landeshauptstadt und in fünf Eigenbetrieben der Stadt so genannte Dikas. Eigentlich schreibt sich das „dIKA“, und das steht für „dezentrales Informations-, Kommunikations- und Anforderungsmanagement“.

Ursprünglich sollten sich diese Dikas um die fachspezifische IT ihrer Referate oder Firmen kümmern und dort erster Anlaufpunkt für Support sein. Tatsächlich scheinen sie sich zu quasi selbständigen IT-Abteilungen entwickelt zu haben. Was sie machen oder auch nicht entscheidet letztlich der Leiter eines Referats oder Stadtbetriebs, heißt es, sie ließen sich von IT@M (ein Eigenbetrieb, nicht einmal Referat) nichts sagen.

Die Dikas im Personalreferat (POR), im Kreisverwaltungsreferat (KVR) und in der Stadtkämmerei und die dortigen Leitungen sollen LiMux in ihren Bereichen faktisch funktionsunfähig gemacht haben. Die dort verwendeten Versionen seien überholt (aktuell wäre 5.5 mit LibreOffice 4.1.6 und Firefox 45), Updates verweigert worden. Das hätte zur Folge gehabt, dass IT@M mit seinen rund 20 LiMux-Leuten zahlreiche uralte Versionen zu betreuen hatte.

Das Ergebnis ist dann wieder aus der Presse bekannt..

..langsame oder abgestürzte Arbeitsplatzrechner. Insbesondere das KVR ist inzwischen berühmt für Systemausfälle, verärgerte Mitarbeiter und empörte Bürger vor verschlossenen Türen. Das ist eine Art „Self-fulfilling Prophecy“: Man verweigert sich Verbesserungen, weil „das Zeug nichts taugt“, und alsbald taugt das Zeug tatsächlich nichts.

Accenture gibt übrigens einer konsequenten Zentralisierung der IT in einem einzigen, verwaltungsübergreifenden IT-Referat die besten Aussichten auf ein besseres Funktionieren der IT. Vermutlich würde auch dies letztlich nur eine einfachere Abschaffung von LiMux ermöglichen. Die von Accenture präferierte Zentralisierung scheint aber gar nicht zur Debatte zu stehen, die Referate sind dafür wohl zu mächtig und auf ihre Autonomie bedacht.

Entsprechend ist OB Reiter, nach Angaben eines Sprechers, für ein IT-Steuerungsreferat, in dem STRAC und IT@M zusammengefasst wären. Eine leichte Aufwertung, aber die Dika-“Kleinstaaterei“ und die Referatsfürstentümer blieben bestehen. Möglicherweise ließe sich LiMux sogar leichter „von oben“ abwürgen. In jedem Fall hätte das, was von LiMux vielleicht übrig bliebe, genau die gleichen Probleme wie bisher schon und wäre damit zum Abschuss freigegeben.