Martin Häuer, Vorstand der Open Source Ecology Germany

Stellst Du Dich und den Verein kurz vor?

Klar gern. Ich bin Martin Häuer und wenn mich Leute nach meinem Beruf fragen, wird’s immer etwas kompliziert – denn ich habe nicht das Gefühl, dass es für meine Tätigkeit eine passende Berufsbezeichnung gibt. Letztlich bin ich eine Mischung aus Aktivist, Ingenieur und Wissenschaftler, arbeite in diversen Communitys an der Infrastruktur für Open-Source-Hardware und für einen Teil dieser Tätigkeit werde ich letztlich auch bezahlt. In Projekten arbeite ich üblicherweise mit internationalen NGOs, Forschungsanstalten und Open-Source-Entwicklergruppen zusammen. Meine “Haupt-Community” ist Open Source Ecology Germany (das ‘Germany’ ist wichtig, da wir uns anders organisieren als die Kollegen in den USA); Im dazugehörigen Verein bin ich Vorsitzender.

Zur Community selbst: Open Source Ecology Germany schaut auf den ganzheitlichen Ansatz einer modernen nachhaltigen Gesellschaft mit offenen Technologien und Methoden, welche für jeden zugänglich sind. Technische Baupläne öffentlich verfügbar zu machen, reicht allein dafür nicht aus. Es gilt, Standorte und Projekte des praktischen Handelns aufzubauen, die OpenEcoLabs. Kreisläufe und eine offene Entwicklung betrachtet Open Source Ecology als Schlüssel zu einer wirklich nachhaltigen und verantwortungsvollen Zukunft. Der Verein unterstützt mit seinem wissenschaftlichen Bildungsauftrag diese Vision. Der gemeinnützige Verein dient dabei als rechtliches Vehikel für die Community – andernfalls hätten wir es sehr schwer, die Bewegung bspw. auf Kongressen oder vor anderen großen Organisationen zu vertreten; Auch die Finanzierung unserer Projekte wäre um einiges schwerer.

Mittlerweile ist die Infrastruktur im Verein stark genug, dass wir uns für andere Communitys öffnen können. Wer also Geld für sein Projekt braucht, Beratung sucht oder Open-Source-Hardware-Themen offiziell vertreten und für sie lobbyieren möchte, sei herzlich willkommen.

Woher kommt der Enthusiasmus für Open Source Hardware?

Mich interessieren besonders die sozioökonomischen Auswirkungen. Open Source Hardware stellt die alte Eigentumsfrage, aber auf einer höheren Abstraktionsebene. Wem gehört die Technologie? Wer hat das Recht und das Wissen, Maschinen zu produzieren? Meiner Meinung nach ist es dann zweitrangig, wem die einzelne Maschine letztlich gehört, wenn das Wissen um die Herstellung der Technologie frei ist. Das könnte essentiell dazu beitragen, Machtstrukturen aufzulösen und (technische) Lösungen dort niederschwellig verfügbar zu machen, wo sie gebraucht werden – in Katastrophengebieten bspw. Zudem sehe ich keine funktionierende Kreislaufwirtschaft ohne Open-Source-Hardware – kann ich mir einfach nicht vorstellen.

Daneben interessiere ich mich schon länger für Entscheidungsfindungsmechanismen – und ich war schockiert, wie viele Probleme sich bei der Nutzung von Open-Source-Prinzipien selbst lösen. Aktuell arbeite ich in einem CEN/CENELEC-Projekt mit anderen Enthusiasten aus Europa daran, Open Source in die offizielle Standardisierung zu bringen. Und wenn diese Methoden für die technische Regelsetzung funktionieren, lassen sie sich vielleicht auch auf die politische Regelsetzung übertragen.

Magst Du mir ein paar Hauptprojekte der letzten Jahre nennen?

Neben der Vereinsinfrastruktur, die ja selbst ein Projekt für gemeinschaftliche Organisationsführung ist, bewegen sich Vereinsprojekte hauptsächlich in drei Bereichen:

  1. Entwicklung von Open-Source-Hardware-Projekten (wie etwa die MakersMill oder die Zink-Luft-Brennstoffzelle)
  2. Gremienarbeit und Entwicklung von Standards und Spezifikationen (bspw. DIN SPEC 3105, ein Pilotprojekt für Open-Source-Standardisierung oder die Open Know-How Specification für einheitliche Metadaten zu Open-Source-Hardware)
  3. Aufbau, Betrieb und Vernetzung von OpenEcoLabs (z.B. das OpenEcoLab Blievenstorf)

Daneben bauen wir auch gerade eine Konformitätsbewertungssstelle (furchtbares Wort) für eine Community-basierte Prüfung quelloffener Baupläne auf – nach DIN SPEC 3105-2. Gerade bei mechanischer Hardware gibt es viel Unsicherheit in dem Feld. Mit diesem dezentralen Prüfverfahren wollen wir zu allgemeinen Qualitätssteigerung und Verwertbarkeit von quelloffenen Bauplänen beitragen. Eines der Highlights in der Prüfung ist der Open-Source-Laptop MNT Reform.

Gibt es Themen, die Dir bei der Ansprache der Politik wichtig sind?

Ja, ’ne ganze Menge sogar! Das interessante ist, dass ein kooperatives Wirtschaften der Europäischen Wirtschaft nicht zuwiderlaufen, sondern sie sogar signifikant stärken könnte. Dazu gibt’s eine sehr empfehlenswerte, umfassende EU-Studie und die enthält eigentlich auch schon alles, was wir sonst selbst fordern würden. 2018 lag der ökonomische Impact in der EU, allein durch Open-Source-Software, bei 65 bis 95 Mrd € – und das hauptsächlich im KMU-Bereich. Da könnte man mit relativ wenigen, einfachen Maßnahmen schon ziemlich viel hebeln.

Beispielsweise:

  • Open-Source-Lösungen überall da zur Grundvoraussetzung zu machen, wo öffentliche Gelder ausgezahlt werden – also in der öffentlich geförderten Entwicklung von Technologie, aber in der Anwendung z.B. in der Verwaltung
  • Mitentwicklung an Open-Source-Projekten als gemeinnützige Tätigkeit steuerlich absetzbar machen
  • Identifikation und gezielte öffentliche Förderung von essentiellen Open-Source-Technologien – auch noch weiter gedacht, durch Öffnung oder Entwicklung bestimmter Module könnte man ganz Märkte wieder öffnen oder eben für alle Marktteilnehmer offen halten
  • Patent- und Urheberrecht mal gründlich überdenken. Nach grob 550 Jahren Patentrecht hat sich die Welt weitergedreht und angesichts der Krisen, die uns als Menschheit in naher Zukunft bevorstehen, sollten wir sehr, sehr bald die Weichen für eine kooperative Lösungsfindung stellen.

Warum seid Ihr bei der OSB Alliance Mitglied geworden?

Wir haben die Hoffnung, dass das Prinzip der kooperativen Technologieentwicklung schrittweise auch für Dienstleistungen und physische Güter ökonomisch Fuß fassen kann. Um dies voran zu treiben, gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit für „Open Source Everything“ zu machen und um nach möglichen Synergien zwischen uns und den anderen Mitgliedern zu suchen, sind wir der OSBA beigetreten.

Habt Ihr schon eine Idee, wo Ihr Euch einbringen möchtet?

  • Mehrere, die in den nächsten Wochen noch detailliert und vorbereitet werden. Zum Beispiel:
  • Kampagnenarbeit, um das Open-Source-Prinzip über die IT hinaus für die Menschen bekannt und attraktiv zu machen
  • Kampagnenarbeit, um Industriepartner für die Produkt-Zertifizierung nach unser kürzlich entstandenen DIN SPEC 3105 für OSH zu finden
  • Kampagne für nachträgliche Open-Source-Lizensierung bestehender behördlich in Auftrag gegebener Software, v.a. im Bildungssektor (bspw. das sächsische OPAL, Grafcet Studio u.ä.)
  • Kompetenzinkubator für Open Educational VR Projekte
  • Eines unserer Mitglieder arbeitet an einer Vereinsverwaltungssoftware, da wäre eventuell eine Kooperation mit z.B. VNC denkbar
  • Für den in Zusammenarbeit mit der Hochschulgruppe Freie Software Freies Wissen Dresden erstellten Maker- bzw. https://schulstick.org/ suchen wir noch Ideen und Partner