In der vernetzten Wissensgesellschaft verschwimmen die Grenzen zwischen einzelnen Bereichen – sei es im Studium, in der Forschung oder in der Wirtschaft. Die Realität ist viel zu komplex geworden, um sie konsequent auf einzelne Fachrichtungen zu beschränken. Damit geht auch die Zeit der klar abgrenzbaren Disziplinen zu Ende. Zu klassischen Fächern wie Physik, Jura oder Germanistik gesellen sich seit einigen Jahren Mischfächer wie Bioinformatik, Kommunikationsdesign oder Medienmanagement.

Das kommt nicht von ungefähr: Indem man über den Tellerrand hinausschaut, ergeben sich neue Perspektiven. Spannende Forschungsfragen entstehen häufig gerade an Schnittstellen zwischen den Fachbereichen, wo das Innovationspotenzial besonders groß ist. Manche sagen: Querdenken und Kooperationen machen Innovationen erst möglich. Um junge Querdenker zu unterstützen, fördert die MFG Stiftung Baden-Württemberg mit dem Karl-Steinbuch-Stipendium (KSS) interdisziplinäre Forschungsprojekte bereits im Studium.

Jetzt stellen die letzten beiden Jahrgänge der Karl-Steinbuch-Stipendiaten in 40-sekündigen Videoclips ihre insgesamt 25 Projekte vor. Die Themen reichen von neuartigen Gamification-Ansätzen und Naturschutz mit Bürgerbeteiligung über eine musikalische Reise durch den Blutkreislauf und eine 3D-Operationssimulation bis hin zu interaktiven Kunstinstallationen.

Abstimmen für den MFG Talente- Tag

Die zehn besten KSS-Projekte werden zum MFG Talente-Tag am 10. November 2015 eingeladen. Wer dabei ist, wird beim offenen Video-Voting entschieden. Bis zum 16. Oktober kann auf YouTube abgestimmt werden. Jede(r) Interessierte kann sich durch die spannenden Projekte klicken und mit einem „Like“ signalisieren, welche Stipendiaten und Themen ihm oder ihr am besten gefallen. Das öffentliche Online-Voting sowie das Urteil einer Fachjury zählen dabei zu gleichen Teilen. Die Links und eine kurze Beschreibung zu allen 25 Projekten finden sich weiter unten.

Beim MFG Talente-Tag selbst haben Unternehmer und Wissenschaftler Gelegenheit, die innovativen Nachwuchsforscher kennenzulernen, wenn sie live ihre Forschungsergebnisse präsentieren. Im Anschluss prämiert eine Fachjury die beiden besten Projekte und das Publikum wählt seinen Favoriten. Dabei kommt es auf den Innovationsgehalt, den wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert und auch auf die Überzeugungskraft der Stipendiaten an. Der Talente-Tag ist dieses Jahr Teil der Raumwelten, dem Branchenevent für Raum- und Markeninszenierung in Deutschland. Im Raumwelten-Pavillon auf dem Akademiehof Ludwigsburg kann man die zehn besten der folgenden Stipendiaten live erlebten und kennenlernen.

Die aktuellen Projekte aus dem Karl-Steinbuch-Stipendium

Kultur, Geschichte und Semantik

Amelie Alterauge:
Der Traum vom ewigen Leben

Mit Hightech auf der Spur einer europäischen Mumienkultur: Amelie Alterauge von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg untersucht die gut erhaltenen Mumien aus der Kirche St. Nicolai in Nedlitz bei Magdeburg. Mithilfe von Computertomografie und historischen Quellen rekonstruiert die Doktorandin der Ur- und Frühgeschichte das Leben der Verstorbenen und der Umgang mit den Leichnamen nach dem Tod. Mithilfe von 3D-Gesichtsrekonstruktionen macht sie es möglich, den Toten sogar von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.

Manuel Sassmann, Gesa Stupperich, Zhiquiong Qiu und David Höppner:
Eine offene Infrastruktur zur semantischen Annotation chinesischer Quellen anhand des Siku quanshu

Die vier Studierenden der Klassischen Sinologie der Universität Heidelberg haben eine Website für vormoderne chinesische Texte erstellt. Das Siku quanshu ist eine der wichtigsten Textsammlungen des klassischen Chinas. Besucher der Seite können sich Namen, Orte und Zeiten aus den Texten automatisch markieren lassen und mit Annotationen versehen. Das Open Source-Projekt ist für jeden zugänglich und erweiterbar.

Genevieve Mulack:
SPA Sentimentprozessanalyse

Ziel der Sentimentprozessanalyse (SPA) ist es, digitale Texte automatisch zu codieren und zu analysieren. Die Medienwissenschaftlerin Genevieve Mulack von der Universität Hohenheim untersucht die Emotionen eines Textes anhand der einzelnen Worte, welche als Indikatoren für Sentimente gelten. Dadurch lassen sich etwa emotionale Verläufe von Nutzerdiskussionen auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken detailliert bestimmen.

Interaktive Installationen und dynamische Kunstwerke

Eiko Bäumker, Thomas Schächtle mit Layla Franke, Marcel Gangwisch:
Molae Quaesitae
Molae Quaesitae heißt die mit Wasserkraft betriebene Messstation der vier Studenten aus Freiburg. Die Werte von Wassertemperatur und Pegelstand sowie Abgaskonzentration und Luftqualität an der Dreisam – dem Fluss, der durch Freiburg fließt – werden über eine LED-Anzeige visualisiert. Über Bluetooth können auch Passanten mit dem System interagieren, etwa um Daten zu speichern oder kleine Botschaften zu übermitteln.

Iris Fegerl, Jan Roth und Paul Brenner:
De Motu – A Soundtrack of Your Blood

Den Blutkreislauf als interaktive Musiklandschaft gestalten, ist das Anliegen des KSS-Projekts De Motu. Auf iPhone und iPad lässt sich die Mischung aus Visualität, Musik und Minigames erleben. Die in Regie, Motion Design und Musikdesign geschulten Studierenden aus Ludwigsburg und Trossingen lassen Medizin und Kunst verschmelzen, wenn sie den Nutzer auf eine musikalische Reise durch den Blutkreislauf mitnehmen.

Bennet Meyer:
Artefrakt

Jeder kennt die verzerrten Pixel am Bildschirm, wenn der Computer in der Darstellung von Bildern oder Videos versagt. Der Computer löst die für uns verständlichen Bildinformationen in ein digitales Chaos auf. Bennet Meyer zeigt in seinem Film genau diese Momente zwischen Digitalität und Natur, die eine neue Wahrnehmung beim Menschen veranlassen können. Der Motion Design-Student aus Ludwigsburg stellt dabei Fragen über menschliches Empfinden, digitale Texturen und Media Design.

Von der Natur zur digitalen Kunst

Sebastian Brackhane und Mirko Mälicke:
Locomotif

Naturschutz braucht den Rückhalt der lokalen Bevölkerung. Um diese in die Planung miteinzubeziehen, entwickeln Sebastian Brackhane und Mirko Mälicke, beide Masteranden der Forstwissenschaft an der Universität Freiburg, eine intuitiv zu bedienende Hard- und Software. Damit können Anwender relevante geografische Daten vor Ort erfassen, so dass Naturschützer und Anrainer enger zusammenarbeiten.

Valentina Boye:
Ein Jahr in deinem Leben

Junge oder Mädchen? Mann oder Frau? Über den Zeitraum eines Jahres beschäftigt sich Valentina Boye von der Filmakademie Ludwigsburg mit Menschen, für die diese Fragen nicht leicht zu beantworten sind. Über Zeichnungen, Fotografien und Texten nähert sie sich dem Thema Intersexualität. Ziel des Projekts ist ein Buch, das das Leben intersexueller Menschen sowohl aus der Innen- als auch der Außenperspektive darstellt.

Iris Schwarz und Bennet Meyer:
0US1A – Nature of Digitalism

Was ist Digitalität? „OUSIA“ ist ein Web- und Printmagazin der Ludwigsburger Studierenden Irish Schwarz und Bennet Meyer zur Definition des Wesens der Digitalität im Hinblick auf Kultur, Kunst und Gesellschaft. Realisiert wird das Projekt durch eine Sammlung von Artikeln über Personen, Stimmen, Meinungen und Kunstwerken sowie eine redaktionelle Begleitung eines dynamischen Prozesses der Begriffsbildung.

Wirtschaftliche Fragestellungen

Fabian Enßle, Andreas Fritz und Teja Kattenborn:
Ein UAV-basierten Monitoring-Verfahren zur Erkennung von Schäden auf Landwirtschaftsflächen
Damit Landwirte Informationen über den Vegetationszustand ihrer Felder erhalten, können sie mittlerweile auf Luftbilder von Drohnen zurückgreifen. Johannes Enßle, Andreas Fritz und Teja Kattenborn von der Universität Freiburg entwickeln dazu ein Verfahren, das Landwirte frühzeitig über Ertragsdepressionen und Schäden auf den Feldern aufklären kann. Mit Drohnen fliegen sie dazu über die Felder, machen Luftaufnahmen und werten die Ergebnisse anschließend automatisch aus.

Viktor Schulz:
Business Process Model Matching – Geschäftsprozessmodelle abgleichen

Das Abgleichen von Geschäftsprozessen auf Basis von Modellen hat das Ziel, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen. Das Projekt beinhaltet sowohl das Erstellen eines Goldstandards sowie das Erstellen eines Matchers – ein Programm, das jeweils zwei Prozessmodelle miteinander vergleicht. Die dadurch erzielbare Optimierung der Geschäftsprozesse ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Organisation.

Anuja Hariharan:
Regulation of Emotional Sensitivity to Gains and Losses through Real-time Biofeedback
In verschiedenen Experimenten untersucht die Informationswirtin Anuja Hariharan vom Karlsruher Institut für Technologie die Rolle der Emotionen in kooperativen und kompetitiven Spielsituationen. Ihre Studien zeigen, dass ähnliche Gruppen besser zusammenarbeiten und Gruppen mit höheren Emotionswerten im Wettkampf stärker sind. Dieses Wissen lässt sich in der Wirtschaft nutzen, um effizientere Mitarbeiterteams zusammenzustellen.

Aktiv unterwegs

Fabian Fiess und Felix Hundhausen:
Interaktive Kletterwand

Fabian Fiess, Student der Audiovisuellen Medien, und der Mechatroniker Felix Hundhausen aus Stuttgart kombinieren Sport und Videospiel zu einer interaktiven Kletterwand. Die touch-sensitiven Klettersteine werden zum Controller, die Kletterwand dient als überdimensionales Display. Anwendungen sind im Entertainmentbereich ebenso möglich wie für physiotherapeutische Zwecke.

Nikolas Simon:
Elektronische Landmarke zur Indoor-Lokalisierung von Rettungskräften

Nikolas Simon aus Freiburg hat eine elektronische Landmarke auf Funkbasis entworfen, die als Orientierungspunkt für Rettungskräfte eingesetzt werden kann. Um die erhaltenen Informationen auszuwerten, wurde ein mobiles Handmodul entwickelt, mit dem die Distanz zu den Landmarken gemessen und die Position berechnet werden kann. Im Brandfall mit starker Rauchentwicklung können Rettungskräfte dadurch schneller lokalisiert werden.

Im Auge des Betrachters

Wendy Fox:
INTEGRITI – Integrierte Titel

Im Zuge des Projekts INTEGRITI analysiert die Studentin für Kommunikationsdesign Wendy Fox die Ergebnisse aus ihren Eye-Tracking-Studien, um die ideale Integration von Untertiteln in Filmen zu erkennen. Durch die richtige Platzierung der Untertitel etwa können diese schneller gelesen werden und lenken weniger vom Film ab. Durch INTEGRITI können Untertitel zu einem Teil des filmischen Kunstwerks werden.

Dennis Bukenberger und Judith Ungewiß:
Methoden zum Vergleich der Aufmerksamkeitszuwendung
Durch Eye-Tracking-Studien können Aufmerksamkeitsmuster beim Autofahren erforscht werden. Solche Studien sind jedoch aufwendig und lassen sich nur mühsam mit weiteren Studien ähnlicher Art vergleichen. Ziel des Medieninformatikers und der Opto-Psychophysikerin aus Tübingen ist es deshalb, ein Programm zur automatischen Auswertung von Augenbewegungsmustern zu entwickeln.

Konstantin Sering:
Blicksynchronizität

Konstantin Sering, Diplomand der Physik und der Psychologie in Tübingen, hat ein Maß für die Synchronizität von Blickbewegungen verschiedener Menschen beim Betrachten des gleichen Videos entwickelt. Mit Blicksynchronizität ist gemeint, dass verschiedene Betrachter des gleichen Videomaterials die gleichen Augenbewegungen machen. Durch ein verbessertes Verfahren lässt sich spannenden Fragen nachgehen, etwa ob Fans des FC Bayern ein Spiel anders wahrnehmen als Fans des VFB Stuttgarts.

Spiel, Film und Musik mit Mehrwert

Sebastian Marwecki:
Invasion of the Wrong Planet

Invasion of the Wrong Planet ist ein Therapiespiel für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Es vereint analoge und digitale Elemente und lässt die Spieler durch geschicktes Platzieren ihrer Raumschiffe eine feindliche Invasion verhindern. Das Spiel wurde von Sebastian Marwecki von der Universität Konstanz auch für den Einsatz in der Gruppentherapie konzipiert.

Yafes Sahin:
Virtual Production

Mit Virtual Production lassen sich Filme in der digitalen Welt in Echtzeit erstellen. Die neu entwickelten Werkzeuge sollen in dem ständigen Echtzeitdatenstrom am Set eine Organisation- und Kommunikations-Plattform schaffen und eine neue Art der Filmproduktion aufzeigen.

Vincent Wikström und Marja Skender:
Orientalischer Klaviertanz

Vincent Wikström und Marja Skender von der Hochschule für Musik Karlsruhe geht es um eine neuartige Verbindung von Tanz und Musik. Hier folgt nicht der Tanz auf die Musik, sondern die Musik auf den Tanz. Durch Motion-Tracking-Technologien, also das Erfassen und Übertragen von Bewegungen auf den Computer, werden diese in Klänge umgesetzt. Aus dem orientalischen Bauchtanz wird so zum Beispiel ein rasantes Klavierstück generiert.

Digitale Visualisierung von Stammzellen

Johannes Pospiech:
Modellierung der interzellulären Kommunikation in der Stammzellnische
Stammzellen bieten ein riesiges Potential für die Behandlung von Krebs, genetischen Erkrankungen und für die regenerative Medizin. Das Ziel des Ulmer Molekularmediziners Johannes Pospiech war es, die unmittelbare Mikroumgebung blutbildender Stammzellen im Knochenmark in einem Booleschen Computermodell abzubilden und dadurch zum Beispiel Stammzelltransplantationen künftig noch sicherer zu machen.

Lea Siegle und Julian Schwab:
Modellierung und Analyse der Signalwege IGF und Wnt durch temporale Boolesche Netze
Alzheimer, Diabetes, Krebs. Altersbedingte Krankheiten sind ein großes Problem unserer Gesellschaft. Die zellulären Signalwege IGF und Wnt spielen eine große Rolle in der Alterung. Der Informatiker Julian Schwab und die Molekularmedizinerin Lea Siegle von der Universität Ulm haben zum besseren Verständnis des zellulären Alterungsprozesses ein Programm – ViSiBooL – zum Modellieren und Simulieren dieser und anderer Signalwege programmiert. Dadurch können gezielte therapeutische Maßnahmen zur Behandlung von altersbedingten Krankheiten identifiziert werden.

Digitale Neuerungen für die Medizin

Sven Fillinger:
Browserschnittstelle zur Auswertung von RNA-Sequenz

Ziel des Tübinger Bioinformatikers Sven Fillinger ist es, eine benutzerfreundliche Weboberfläche für das Programm TSSpredator bereitzustellen. Wissenschaftlern wird so ermöglicht, möglichst zeiteffizient biologische Fragestellungen zu beantworten. Durch das Programm lässt sich etwa untersuchen, warum manche Bakterien den Menschen krank machen und andere nicht.

Micha Pfeiffer:
IMHOTEP – Immersive Medical Hands-On Operation Teaching and Planning System

Der Karlsruher Informationstechnik-Student Micha Pfeiffer entwickelt eine neue dreidimensionale Darstellungsmethode für Patientendaten, die in der Chirurgie genutzt werden kann. Mit einer 3D-Brille lassen sich Operationen vorab simulieren und bieten den Ärzten eine bessere Möglichkeit, sich auf komplizierte Eingriffe vorzubereiten.

Thomas Wollmann:
Lagekorrektur in der Strahlentherapie mittels eines virtuellen Patientenmodells und Tiefensensoren
Thomas Wollmann nutzt eine Kombination aus 2D- und 3D-Kameras, um Patientenoberflächen aufzuzeichnen – zum Beispiel bei der Strahlenbehandlung von Krebspatienten. Anhand der Messdaten wird die Lagekorrektur durchgeführt und der Therapieplan auf den einzelnen Patienten angepasst. Das Konzept verspricht die Strahlenbelastung zu verringern, da weniger Bilder bei der Lagerungskorrektur aufgenommen werden müssen.