Bildquelle: Deutsche Messe AG

Bildquelle: Deutsche Messe AG

Heute startet die Hannover Messe Industrie. Traditionell wird hier das Bild von Heavy Metal dominiert. Der Kern des Ganzen aber ist schon lange Software – und zunehmend Open Source. Von Ludger Schmitz*

Es ist an allen Ecken und Enden von „Digitalisierung“ die Rede. Man könnte fast meinen, bisher würden die Maschinen am Reißbrett konstruiert, an Drehbank und Bohrmaschine noch per Hand gekurbelt, alles mit Schieblehre kontrolliert, Kosten und Preise über den Daumen gepeilt, Rabatte mit Rotstiften kalkuliert, in der Verwaltung mit Kugelkopf-Schreibmaschinen gearbeitet… Digitalisierung ist natürlich nur so ein Marketing-Slogan.

Die Digitalisierung findet schon seit Jahrzehnten in jeder Branche der Industrie statt. Gerade die deutsche ist stolz darauf, durch starken Einsatz von High Tech überlegene Produkte zu haben und weltweit konkurrenzfähig zu sein. Wenn heute allerdings von Digitalisierung die Rede ist, ist das Gespräch auch gleich bei Industrie 4.0 und Internet of Things. Aber der Reihe nach.

Industrie vor der 4. Nullnummer?

Industrie 4.0 ist ein nicht nur unter Industriehistorikern umstrittener Begriff, weil schon die dritte industrieller Revolution geprägt ist von Elektronik und IT. Vorher waren Wasser- und Dampfkraft sowie elektrischer Strom und Fließbänder die zwei einschneidenden Veränderungen. Die Nummer Vier soll jetzt für die umfassende Vernetzung auf Basis von Internettechniken stehen.

An diesem Punkt kommt das Internet of Things, kurz IoT, ins Spiel. Im Marketing für die Allgemeinheit geht es um so Dinge wie ferngesteuerte Waschmaschinen, Heizungen, Klimaanlagen und Rasensprenger, sowie natürlich um kommunizierende Autos. In Wirklichkeit findet IoT in der Industrie statt, in Fabrikhallen, auf Lagerareal, in Großanlagen. Hier werden viel mehr Dinge miteinander vernetzt als bisher, wobei Internettechnik die Grundlage ist. Es geht also nicht mehr um die alten, proprietären industriellen Bus-Systeme.

Doch Vorsicht, Internet heißt zwar offene Standards, die machen allerdings ein Gesamtsystem noch nicht von allein offen. Es fällt auf, dass sehr viele Unternehmen unter der Flagge IoT versuchen, ihre eigenen geschlossenen Systeme zu verkaufen. Wenn das klappt, das heißt sich nach hartem Verdrängungswettbewerb und vielen Übernahmen ein paar wenige Firmen durchsetzen sollten, ist das kein Internet, sondern eine Inselwelt der Dinge.

Die Inselwelt der Dinge wäre ein Alptraum

In der wird es aufwändig und teuer, wenigstens ein paar Brücken zu bauen. Die gemeinsame Verwaltung (Administration) der Inseln und die Services für sie werden zum Alptraum. Es hilft nur eins: Man sollte beim Internet der Dinge von Anfang an auf Open Source wert legen.

Internet of Things hat einen Rattenschwanz an Folgen. Tausende Geräte werden einen unglaublichen Strom an Daten fließen lassen, Big Data. Die Daten sind per se überhaupt nichts wert, solange sie sich nicht auswerten lassen, Analytics heißt das nächste Thema. Doch statt aus Data Lakes wertvolle Informationen zu fischen, könnte Anwender bald feststellen, dass sie in Wirklichkeit in Datensümpfen versinken. Einige IT-Anbieter haben es schon begriffen, dass die Entwicklung entsprechender Tools (und eines Marktes dafür!) ihre Kapazitäten überstrapaziert. So ist der Marktführer auf diesem Gebiet, Teradata, nicht mehr rein proprietär unterwegs, sondern an Open-Source-Projekten beteiligt und stellt von sich aus Produkte Open Source.

Viele IoT-Geräte führen zwangsläufig zur Dezentralisierung der IT. Bei den Anschaffungs- und Unterhaltungskosten proprietärer Umgebungen ist das nicht zu stemmen. Viel Verarbeitung der Daten wird in der Cloud geschehen, wahrscheinlich in einem Mix aus Public und eigener Cloud. Das wirft Fragen zur Sicherheit und zu den Exit-Kosten in Public Clouds auf. In Sachen Sicherheit ist Open Source ohnehin die einzig vernünftige Lösung. In puncto Exit-Kosten sind proprietäre Cloud-Lösungen äußerst riskant. Auf diesem Gebiet entwickelt sich OpenStack zu einer Art Standard für Private und (!) Public Clouds. Auf die APIs dieses Open-Source-Frameworks setzen inzwischen immer mehr Anbieter von Public Clouds.

Zukunft der Programmierung heißt Open Source

Anlaufstelle für Open-Source-Interessierte auf der Hannover Messe Industrie: das Open Source Forum (in Halle 8, Stand D28)

Anlaufstelle für Open-Source-Interessierte auf der Hannover Messe Industrie: das Open Source Forum (in Halle 8, Stand D28)

Womit wir dann auch schon bei der Frage wären, wozu man das Ganze denn überhaupt macht. Internet of Things ist ja nur ein Schuh, der andere heißt kundengerichtete Services. Das sind in Zukunft keine Mammutanwendungen mehr, sondern kleine und kleinste Miniprogramme, so genannte Micro-Services, die schnell gemacht und auch weggeworfen werden. Das klappt nur, wenn Entwickler sich an Bausteinen bedienen können, und das heißt: Open Source. Das Rahmenwerk für Micro-Services heißt übrigens wieder OpenStack.

Aber man muss gar nicht so weit greifen. Noch sieht der IT-Alltag weit weniger futuristisch aus. Bereits gegenwärtig ist zu erkennen, dass ohne Open Source nichts mehr geht. So besteht die Software für Siemens-Produkte vom Kraftwerk bis zum Röntgengerät zu 90 Prozent aus Elementen für Standardfunktionen. Siemens verwendet dafür Open-Source-Code, nur für spezielle Funktionen gibt es noch proprietären Code. Wenn Siemens noch alles proprietär entwickeln würde, so der Siemens-Informatiker Karsten Gerloff, „müssten wir 1000 Programmierer zusätzlich einstellen, dann wären wir nicht mehr wettbewerbsfähig“.

Wenn die hiesige Industrie innovativ und wettbewerbsfähig bleiben will, braucht sie jetzt und in Zukunft vor allem zukunftsfähige Software, und das heißt Open Source. Das ist die Kernbotschaft der Hannover Messe Industrie.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.