Wikipedia cut

Wikipedia cut

In der Open Source Community gibt es ein Prinzip: Meckerei und Besserwissertum wird – bayrisch gesagt – nicht mal ignoriert. Was zählt sind hingegen selbst bescheidene Versuche, eine Sache zu verbessern. Bei einem Community-Projekt läuft es allerdings genau gegenteilig: bei Wikipedia.

Von Ludger Schmitz

Die Open Source Business Alliance lässt sich auf Wikipedia nicht mehr finden, auch nicht als OSB Alliance oder als OSBA. Deutschlands größte und einzige (!) Vereinigung von Open-Source-interessierten IT-Anbieter, -Anwendern, Bildungs- und Forschungseinrichtungen und Privatpersonen wurde auf Wikipedia gelöscht. Begründung: Sie sei irrelevant. Head meets desktop.

Es soll ja vorkommen, dass sich jemand für Open Source und für entsprechende Organisation in Deutschland, dem Land der Vereine, interessiert. Tatsächlich findet er unter Wikipedia diverse Einträge, die eine Open Source Business Alliance erwähnen. Diese Organisation aber findet der Sucher nicht. Da sind eine Lisog zu finden und ein Linux-Verband (auch zur Löschung vorgeschlagen), die sich angeblich zur OSB Alliance vereint haben. Mehr lässt sich nicht erfahren. Da ist eine (kleinere) OSBF zu finden, mit der sich dieser neue Verein wohl zusammentun wollte. Und dann sind da noch einige Open-Source-Projekte und -firmen, in deren Darstellung diese OSB Alliance vorkommt. Bei Wikipedia aber ist diese Organisation ein ominöses Nichts.

Wikipedia basiert technisch von A bis Z auf Open Source. Seine Organisationsform ist dem Modell von Open-Source-Projekten nachempfunden. Merkwürdigerweise scheinen aber gerade einige Mitarbeiter an den Schaltstellen bei Wikipedia von Open Source weder gehört zu haben, noch sich dafür zu interessieren. Wir machen das umfangreichste Lexikon der Welt, aber leider hat da auch in Post-Print-Zeiten nicht alles Platz.

Wer sich auch nur gaaaanz flüchtig mit der Geschichte von Software in den letzten 25 Jahren beschäftigt, wird bemerken, dass Open Source die wichtigste Änderung in der IT-Branche ausgelöst, sie regelrecht umgekrempelt hat. Derjenige wird auch lernen, dass Open Source in allem steckt. Wir leben über die Informations- und Kommunikationstechnik hinaus in einer technischen Umgebung, die nicht irre ist, sondern tausende Standards hat. Und eine schon unübersehbare Menge davon (so ziemlich das ganze Internet zum Beispiel) kommt aus der Open-Source-Community.

Das ist kein Haufen spontan engagierter Feierabendprogrammierer, sondern ein nicht ganz einfach zu durchschauendes Netz von Projekten und Organisationen, hinter denen inzwischen wiederum quasi alle großen Firmen der IT-Branche stehen. Diese Arbeit macht keine Schlagzeilen, da ist eine Nebensatzerwähnung in einer Fachzeitschrift schon viel. Sie wirkt aber bis in Smartphones, TVs und Waschmaschinen, ohne dass wir es zu spüren bekommen.

Bei Wikipedia aber muss es krachen, bevor etwas relevant wird. Der Wikipedia-Eintrag über die OSB Alliance sei ein „Werbeflyer“ begründete ein Autor mit dem Pseudonym „Schnabeltassentier“ seinen Antrag, den Eintrag zu löschen. Er vermisste „vernünftige Belege bzgl. Außenwahrnehmung/Relevanzdarstellung“. Nun ja, in der „Bild“ kann man von Paris Hilton und Kim Kardashian lesen, nicht aber von der OSB Alliance. Genau so geht es dem Leser übrigens bei Wikipedia.

Dass die Autoren des Eintrags darauf verwiesen, dieser werde gerade überarbeitet, interessierte nicht. Die Meinung eines anderen Autors („Asturius“) auch nicht: „Überflüssiger Löschantrag. Artikel ist absolut okay, und die Relevanzfrage stellt sich nicht: In entsprechenden Fachzeitschriften wird regelmäßig über diese Organisation berichtet.“ Der Eintrag wurde von einem „Millbart“ gelöscht.

Anschließend half keine neue Version des Beitrags, keine nochmalige Überarbeitung und auch keine nochmalige Fürsprache von Asturius. Im Gegenteil, jetzt wurde die Diskussion richtig absurd. So schaltete sich ein „Pölkky“ ein: „Ob die Nische ‚Open Source‘ groß genug ist, wage ich zu bezweifeln. Und selbst wenn, dann sehe ich höchsten WMF, Mozilla Foundation & Co. als relevant an.“ Mit WMF dürfte die Wikimedia Foundation gemeint sein. Pöllky meinte auch noch, 185 Mitglieder in der OSB Alliance seien nichts, schließlich habe „WMDE“ (vermutlich Wikimedia Deutschland) 12.000 Mitglieder. Bei solch kompetenter Argumentation ist es eh schnuppe, dass es einen Unterschied zwischen den „Mitgliedschaften“ geben könnte.

Man muss sich schon wundern, dass auf dieser Stufe von Absurdität der Wikipedia-Autor Asturius noch einmal die Energie aufbrachte, sich für den neuen Beitrag über die OSB Alliance stark zu machen: „Die Löschbegründung von Millbart ist, bezogen auf den damaligen Artikelstand, nachvollziehbar. Allerdings wurde der Artikel … in Bezug auf genau diese Löschbegründung überarbeitet. Im überarbeiteten Artikel ist zu erkennen, dass entsprechende Fachzeitschriften regelmäßig über diese Organisation berichten. (..) Genau die in der Löschbegründung genannte fehlende und belegte Außenwahrnehmung ist nun belegt im Artikel dargestellt. Die Löschung des Artikel ist daher aufzuheben.“

Wer nun meinen sollte, das einfach sachliche Argument, dass die Löschungsgründe nicht mehr bestehen, gezogen hätte, täuscht sich. Die OSB Alliance gibt es für Wikipedia weiterhin nicht. Der Blogger tröstet sich damit, immerhin auf Wikipedia von einem Pater aus seinem Heimatdorf zu erfahren, von dem er noch nie gehört hatte. Ach, die Relevanz von Personen ist anders zu beurteilen als die von Organisationen? Was macht „relevant“? Eins sicher: Bei Wikipedia den Rotstift in der Hand zu haben. Im Zweifelsfall hat man sich ja nicht mit Klarnamen entblödet und blamiert.

Des Paters Werk „Chance einer Krise“ wird sicherlich Kraft spenden, die nötig ist. Denn gegenüber der Allmacht wie immer schlecht informierter Zensoren und gegen Löschvandalen gibt es offenbar kein Mittel. Wikipedia beklagt regelmäßig einen Mangel an Engagierten. Ach ne.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.